Rauchen wie die Indianer? Heutzutage liest sich die Liste von immerhin mehr als 300 Zusatzstoffen in Zigaretten(-tabak) wie ein Chemiebuch. Dazu schreibt einer der größten Tabakhändler Deutschlands auf seiner Website: „Cigaretten beinhalten neben Tabak und Wasser weitere Bestandteile, die ihnen Form, Halt und individuellen Geschmack verleihen. Zum einen werden dem Tabak Zusatzstoffe wie Aromen und Feuchthaltemittel zugeführt. Zum anderen handelt es sich um die sogenannten Nicht-Tabakmaterialien wie Papier oder Filter.„ (Quelle: http://www.bat.de/group/sites/BAT_7TYF37.nsf/vwPagesWebLive/DO7VHATQ?opendocument&SKN=1; auf http://www.bat-ingredients.com lassen sich die Inhaltsstoffe einzelner Zigaretten-/Tabaksorten aufrufen.)
Je nach Marke und Sorte werden dem Tabak also Menthol, Feuchthaltemittel und Konservierungsstoffe beigefügt – und die Schädlichkeit der Zusätze mit Formulierungen wie dass Zusatzstoffe „nicht wesentlich zur Toxizität“ von Zigaretten beitrügen. Tatsächlich haben jetzt die Autoren einer Studie aufgedeckt, dass „zahlreiche negative biologische Konsequenzen“ durch das Abbrennen und Einatmen der unzähligen Substanzen in Verbindung mit dem Tabak haben. Unter anderem hätte sich gezeigt, dass die Zusätze sehr giftig und gesundheitsschädlich seien, den Gehalt an krebserregenden Chemikalien wie Arsen, Blei und Formaldehyd im Zigarettenrauch um mindestens ein Fünftel, oft aber deutlich mehr, erhöhen.
Marcia S. Wertz, Thomas Kyriss, Suman Paranjape und Stanton A. Glantz, die Autoren der in der Fachzeitschrift „PLoS Medicine“ veröffentlichten Studie, werfen dem Konzern Philip Morris vor, in einer firmeninternen Studie mit dem Codenamen „Projekt MIX“ wissenschaftliche Standards umgangen zu haben, um das Gefahrenpotential absichtlich gering zu halten. So sei die Zahl der Versuchstiere zu gering angesetzt worden und es wird von einer „nachträglichen Veränderung in den Analyseprotokollen“ berichtet. Thomas Kyriss, Lungenchirurg der Klinik Schillerhöhe in Gerlingen/Stuttgart und seine US-amerikanischen Kollegen kritisieren zudem die statistische Aufbereitung.
Wie es in Fachkreisen seit langem bewußt ist, werfen die Autoren dem Konzern nun erstmals in Bezug auf Zusatzstoffe nachgewiesene Manipulation und bewußte Täuschung vor. Der Konzern hätte die Gefahren der schädlichen Auswirkungen umstrittener Zusatzstoffe herungergespielt um „Politik und Öffentlichkeit insbesondere in den USA zu beeinflussen“.
Vorwürfe an medizinische Fachzeitschriften
Herausgebern und elf Mitgliedern des Redaktionsbeirats einer Fachzeitschrift, in der einige der erneut unter die Lupe genommenen Studien veröffentlicht wurden, wurden Verbindungen zur Tabakindustrie nachgewiesen. Die Autoren fordern deswegen Wissenschaftler und Regierungsbehörden auf, sie sollen „nicht für bare Münze nehmen, was Wissenschaftler der Tabakindustrie als Forschungsergebnisse darbieten“.
Da den Autoren aber nur solche – ursprünglich firmeninterne und geheime – Studien und Studienergebnisse vorlagen, die im Zuge von Haftungsklagen veröffentlicht werden mussten, weisen sie die Behörden darauf hin, das ihre Auswertung nur ein erster Schritt sei. Es fehlten noch viele, teils entscheidende Informationen: weshalb wurden bestimmte Zusatzstoffe untersucht, andere aber nicht? Welhalb wurden die Stichproben und Versuchsreihen so klein gehalten?
Aus gleichem Grund, also aufgrund des geringen Datenmaterials, zweifelt der Tabakkonzern Philip Morris an den Methoden der Wissenschaftler. Sie hätten lediglich unvollständige Unterlagen aus dem Internet für die Auswertung herangezogen. Auch andere „von Fachleuten überprüfte, umfassende Studien“ seien zu diesem Ergebnis gekommen, also würden belegen, dass die Schädlichkeit von Zigaretten durch die Zusatzstoffe nicht nennenswert bzw. nicht erhöht würde.
Grundlegende Veränderung der politischen und rechtlichen Baisis von Tabak und Tabakprodukten gefordert
Hoffnungen, dass die neuen Ergebnisse und Zusammenfassungen dafür sorgen werden, dass einerseits mehr interne Studien veröffentlicht werden müssen und andererseits die Zulassung von Tabakprodukten eine andere Qualität erfährt, haben nicht nur wir sondern auch Gesundheitsverfechter wie Martina Pötschke-Langer vom DKFZ (Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg). Die Arbeit von Kyriss und seinen Kollegen hätte gezeigt, dass die Industrie „bewusste Veränderungen bei der Datenauswertung und der Bewertung der Studienergebnisse“ vorgenommen habe. „Schon die Logik der Toxikologie sagt, dass die beigemengten Zusatzstoffe gesundheitsschädlich sind, wenn man sie verbrennt. Die Tabakverordnung muss deshalb grundsätzlich verändert werden.“
Vor einigen Wochen sprach CSU-Gesundheitsexperte Johannes Singhammer bei EU-Gesundheitskommisar John Dalli an, die Wirkung von Zusätzen solle neu untersucht werden, um Raucher vor gesundheitsschädlichen Wirkungen zu schützen. Wenn man Vergleiche zwischen der Inverkehrbringung von industriell verarbeiteten Tabakprodukten mit der Zulassung (deutschen Sortenprüfung) bewährter Kartoffeln vergleicht, erscheint einem der angelegte Maßstab durchaus unterschiedlich: http://de.wikipedia.org/wiki/Linda_(Kartoffel)
Quellen: http://www.plosmedicine.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pmed.1001145; http://www.stern.de/gesundheit/zusatzstoffe-in-zigaretten-philip-morris-soll-studien-manipuliert-haben-1764982.html